Ein Gastbeitrag von 61
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1. Allgemeines und historische Entwicklung.
Als Liquid Armor bezeichnet man im englischen Sprachgebrauch ein Gel, das sich unter Druck lokal verfestigt und sich teilweise wie ein Feststoff verhält. Dieses physikalische Phänomen bezeichnet man als Dilatanz und die sich so verhaltenden Substanzen besitzen scherverdickende bzw. nichtnewtonische Eigenschaften. Ein vergleichbarer Effekt lässt sich beispielsweise auch bei verdichtetem Schnee oder einer stärkehaltigen Flüssigkeit im Alltag beobachten. Die bisher in der Forschung verwendeten scherverdickenden Flüssigkeiten sind Suspensionen aus Nanosilikat oder anderen Mineralien mit einer durchschnittlichen Partikelgröße von 500nm, die in ein polares Lösungsmittel beigemischt werden. Liquid Armor ist insbesondere zur Aufwertung weichballistischer Blatten gegen Beschuss und Stichwaffen geeignet, die unbehandelt leicht von spitzen Gegenständen penetriert werden können. Das Konzept, mineralische Partikel als Panzerung zu verwenden, ist relativ alt, wurde jedoch nie flächendeckend angewendet. Die Hallstattkultur entwickelte beispielsweise den Schüsselhelm, einen aus Korbgeflecht bestehenden Helm, der mit einer Mischung aus Quarzmehl und Polysaccharid-Kleister überzogen wurde. Anschließend wurde ein Lederüberzug darüber gestülpt und der Helm flächig mit Bronzenägeln und -scheiben beschlagen. Dieses Konzept setzte sich jedoch nicht durch und der Helm kam nach einer Nutzungszeit von 180 Jahren aus der Mode.
Abgesehen von diesem Beispiel benutzte noch das römische Reich in der frühen Kaiserzeit bei Reiterhelmen Kittmassen zur Fixierung von Zierblechen. Untersuchungen an einem frühkaiserzeitlichen Reiterhelm aus Xanten-Wardt konnten einen aus Teerparaffinen, Holzteer und tierischen Fetten bestehenden Kitt nachweisen, der die silbernen Überzugsbleche des Helms auf dem eigentlichen eisernen Träger befestigte und so einer Lösung durch mechanische Belastungen wie Schlägen vorbeugte. Die Untersuchungen stellten außerdem fest, dass der Kitt mit modernen Treibkitt, wie er von Silberschmieden verwendet wird, vergleichbar ist. Treibkitt besitzt scherverdickende Eigenschaften und wurde aus naheliegenden Gründen bei solchen Helmen zumindest zur Verstärkung der Zierbleche verwendet. Scherverdickende Substanzen wurden jedoch erst in der jüngeren Vergangenheit systematisch erforscht und aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften bei Panzerungen angewendet. Führend war hierbei das Army Research Laboratory, eine Forschungseinrichtung des U.S.-amerikanischen Heeres, welches in den 1990ern die Forschung an scherverdickenden Suspensionen aufnahm. Hierbei konnte nachgewiesen werden, dass diese scherverdickende Suspensionen die Effizienz weichballistischer Panzerung erheblich gegen Beschuss steigerte und die Penetration der Pakete durch Stilette oder Dorne stark reduzierte sowie traumareduzierend wirkt. Das Gel verhindert als Matrix, dass Dorne oder Stilette die Panzerung durch Verdrängung der Fasern penetrieren.
2. Herstellung und Test
Das Army Research Laboratory erforschte im Prinzip zwei unterschiedliche scherverdickende Gelsorten. Die erste Mischung besteht aus Nanosiliziumoxid mit einer durchschnittlichen Partikelgröße von 450nm und Polyethylenglykol 200, einem flüssigen polaren Polymer, das auch in der Kosmetikindustrie und als Abführmittel benutzt wird. Die zweite Mischung verwendet 75% der Masse technisches Kaolin, ein aluminiumoxidhaltiges Mineral, das zur Herstellung von Porzellan und Quickclot-Gazen verwendet wird, sowie 30% Glycerin. Insbesondere die zweite Mischung ist für den Endanwender sehr interessant, da Kaolin und Glycerin sehr einfach zu beschaffen sind und nur ein Bruchteil des Preises der ersten Mischung kosten. Kaolin kann außerdem das E-Modul von Polyethylen erhöhen, welches für improvisierten ballistischen Schutz vor Handfeuerwaffen verwendet wird. Für diesen Artikel wurde eine Testserie vorbereitet, bei der insgesamt sechs Proben zur Ermittlung der relativen Penetrationstiefe mit einem Bogen und einem Pfeil mit panzerbrechender (Abb. 4) Spitze (Bodkinspitze) beschossen wurden. Die Testserien des Army Research Laboratory verwendeten einen Fallturm, mit dem ein Dorn mit Gewicht bei konstanter Beschleunigung und kinetischer Energie auf ein mit scherverdickendem Gel behandeltes Paket aus ballistischem Textil fallen gelassen wurde. Da der Nachbau eines derartigen Fallturms zu aufwändig war, wurde stattdessen auf den Bogenbeschuss zurückgegriffen, um einen relativen Effekt selbstgemischter Suspensionen festzustellen.
Der Bogen des ungarischen Herstellers Seaven Meadows (Abb. 2) besitzt ein Zuggewicht von 20lbs und verschoss einen 608 grain oder 39g schweren und 73cm langen Holzpfeil (Abb. 3). Da ein Chronograph nicht zur Verfügung stand und der Hersteller die Anfangsgeschwindigkeit nicht spezifizierte, wird die kinetische Energie des Pfeiles anhand eines vergleichbaren Bogens MKRB007AC des Herstellers Man Kung auf etwa 8,5 Joule geschätzt, die Energie des Pfeiles überschreitet jedoch keineswegs 12 Joule. Die von Egres u.a. 2004 durchgeführten Stichtests an Nylonproben verwendeten einen Fallturm mit einer kinetischen Energie von 2 bis 12 Joule.
Die verwendeten Textilien der sechs Proben sind ballistisches Nylon 850 den in Leinwandbindung des Lieferanten Extremtextil e.K., 220 g/m² schweres nicht beschusshemmendes Kevlar in Atlasbindung des selben Lieferanten sowie nicht näher bestimmbarer 1mm dicker Filz, der aufgrund seiner dichten amorphen Faserstruktur kombiniert mit den dilatanten Suspensionen als besonders vielversprechende Deckschicht ausgewählt wurde. Auf das Nylon wurde mit einem Folienschreiber die auszuschneidenden Lagen eingezeichnet, anschließend wurden mit einem Lötkolben die markierten Lagen herausgeschnitten. Das war notwendig, um ein Verschieben der Fasern und ein damit verbundenes Auflösen des Gewebes durch das Schneiden mit einer Schere zu verhindern. Bei dem Kevlar mussten die Trennlinien mit elastischem Klebstoff behandelt werden. Für jede Probe wurden fünf Lagen Gewebe und eine beidseitige Deckschicht aus Filz verwendet. Zwei der Proben wurden unbehandelt belassen, um als Referenzproben zu dienen.
Insgesamt wurden drei Suspensionsmischungen hergestellt. Die erste Mischung ist ein Kaolin- Glyceringemisch und besteht aus 35% der Masse Kaolin und 65% Glycerin. Eine Nylonprobe wurde damit behandelt. Die zweite Suspensionsmischung besteht aus 75% des Volumens Kaolin und 25% Polyethylenglykol 200 und wurde in einer älteren Kevlarprobe eingearbeitet, die als Vergleich in diesem Test herangezogen wurde. Das benutzte Kaolin ist ein technisches dihydrates Kaolin des Lieferanten S3-Chemikals mit einer Partikelgröße von D50 450nm. Das Polyethylenglykol 200 stammt ebenfalls vom Lieferanten S3-Chemicals, während das Glycerin von Algin Chemie hergestellt wurde. Die letzte Mischung besteht aus 70% der Masse Kaolin und 30% Glycerin, wie in dem Aufsatz von Rosen u.a. 2007 beschrieben. Mit dieser Mischung wurde sowohl eine Nylonprobe als auch eine Kevlarprobe behandelt. Das Gel wurde stark mit Spiritus verdünnt und mit einem Pinsel auf jede Lage einzeln aufgetragen. Die behandelten Lagen wurden zu den geplanten Proben zusammengelegt und bei 80° Celsius für etwa zwei Stunden zur Extraktion des Spiritus erhitzt. Die entstehende Geruchsbelästigung ist unbedenklich und verfliegt unmittelbar nach einmaligem Lüften. Anschließend erfolgte die Verpackung der Proben in Plastikbeutel mit Verschluss, da die Suspensionen hygroskopisch und wasserlöslich sind. Die Proben wurden auf ein 12cm dickes Styroporzielmedium mit Paketklebeband fixiert und aus einer Distanz von etwa einem Meter vom Bogen aus in einem Winkel von annähernd 90° beschossen.
Die gute Leistung der Probe Nylon KG 2 lässt sich dadurch erklären, dass die Dilatanz ab einem 70% Masseanteil von Kaolin kontinuierlich auftritt; damit ist diese Mischung optimal. Die Kevlarproben zeigten völlig unerwartete Ergebnisse, die Eindringtiefen der Referenzprobe liegen wesentlich niedriger als die der anderen Proben. Ebenso überraschend ist die Leistung der Probe mit Kaolin und Polyethylenglykol, die deutlich tiefer penetriert wurde. Die Penetrationstiefen der Kevlarprobe KG 2 sind im Vergleich zur vorherigen Probe Kevlar KP erheblich reduziert. Allerdings konnten die Penetrationstiefen im Vergleich zur unbehandelten Referenzprobe nur sehr unwesentlich reduziert werden. Dies zeigt, dass eine Suspension aus Kaolin und Polyethylenglykol kaum Dilatanz besitzt und Kevlargewebe in Atlasbindung auf eine Behandlung mit scherverdickenden Suspensionen nicht oder nur unwesentlich anspricht. Somit eignen sich nur ballistische Textilien in Leinwandbindung für die Behandlung mit scherverdickendem Gel.
3. Fazit
Der durchgeführte Test sowie die Untersuchungen des Army Research Laboratory zeigen, dass die Aufrüstung weichballistischer Pakete mit scherverdickendem Gel die Schutzwirkung erhöht und auch Schutz gegen Nahkampfwaffen und unkonventionelle Projektile wie Bodkinpfeile gewährleistet. Die Nachrüstung bereits existierender Panzerung kann problemlos erfolgen, allerdings muss eine wasserdichte Schutzhülle angebracht werden, da das Gel sowohl wasserlöslich als auch hygroskopisch ist.
Hierbei bietet sich der Eigenbau rechteckiger Pakete aus ballistischem Nylon mit der Mischung aus 70% der Masse Kaolin und 30% Glycerin an, zum Schutz vor Feuchtigkeit sollten diese Pakete in Plastik vakuumiert werden. Das ballistische Nylon sollte nicht leichter als 850 Den sein, ideal sind 1050 Den. Da Nylon schwächer ist als Kevlar, kann es empfehlenswert sein, das Paket mit zusätzlichen Einlagen wie Edelstahl, Titan, Polyethylen oder Glasfaserverbund aufzurüsten. Allerdings darf auf der dem Körper zugewandten Seite keine harte Einlage eingesetzt werden, da sie die Schutzwirkung erheblich beeinträchtigt. Anders als ballistisches Kevlar ist Nylon relativ leicht erhältlich, weshalb es für jeden der eigene Panzerungen bauen will ratsam ist, sich mit Vorräten einzudecken.
Literatur und Abbildungsnachweis
M. Egg, Die ältesten Helme der Hallstattzeit. In: Antike Helme. Sammlung Lipperheide (Mainz 1988).
N. Hanel, F. Willer, Nachweis einer Metallklebemasse bei einem römischen Reiterhelm aus Xanten- Wardt. Xantener Berichte 16, 2009, 209-216.
R. Egres (u.a.), "Liquid armor": Protective fabrics utilizing shear thickening fluids. In: IFAI 4th International Conference on Safety and Protective Fabrics (Pittsburgh 2004).
R. Egres, M. Decker, C. Halbach, Y. Lee, J. Kirkwood, K. Kirkwood, N. Wagner, Stab resistance of shear thickening Fluid (STF)–Kevlar composites for body armor applications (Newark 2004).
B. Rosen, C. Laufer, D. Kalman, E. Wetzel, N. Wagner, Multi-threat Performance of Kaolin-based shear thickening Fluid (STF)-treated fabrics (Baltimore 2007).
http://www.tarantulapettingzoo.com/oldArmor.html (Eingesehen am 6.3.2016)
Siehe auch:
Die Reihe Bodyarmor

1. Allgemeines und historische Entwicklung.
Als Liquid Armor bezeichnet man im englischen Sprachgebrauch ein Gel, das sich unter Druck lokal verfestigt und sich teilweise wie ein Feststoff verhält. Dieses physikalische Phänomen bezeichnet man als Dilatanz und die sich so verhaltenden Substanzen besitzen scherverdickende bzw. nichtnewtonische Eigenschaften. Ein vergleichbarer Effekt lässt sich beispielsweise auch bei verdichtetem Schnee oder einer stärkehaltigen Flüssigkeit im Alltag beobachten. Die bisher in der Forschung verwendeten scherverdickenden Flüssigkeiten sind Suspensionen aus Nanosilikat oder anderen Mineralien mit einer durchschnittlichen Partikelgröße von 500nm, die in ein polares Lösungsmittel beigemischt werden. Liquid Armor ist insbesondere zur Aufwertung weichballistischer Blatten gegen Beschuss und Stichwaffen geeignet, die unbehandelt leicht von spitzen Gegenständen penetriert werden können. Das Konzept, mineralische Partikel als Panzerung zu verwenden, ist relativ alt, wurde jedoch nie flächendeckend angewendet. Die Hallstattkultur entwickelte beispielsweise den Schüsselhelm, einen aus Korbgeflecht bestehenden Helm, der mit einer Mischung aus Quarzmehl und Polysaccharid-Kleister überzogen wurde. Anschließend wurde ein Lederüberzug darüber gestülpt und der Helm flächig mit Bronzenägeln und -scheiben beschlagen. Dieses Konzept setzte sich jedoch nicht durch und der Helm kam nach einer Nutzungszeit von 180 Jahren aus der Mode.
Abb. 1. (Egg 1988). Hallstattzeitlicher Schüsselhelm und seine Konstruktion.
Abgesehen von diesem Beispiel benutzte noch das römische Reich in der frühen Kaiserzeit bei Reiterhelmen Kittmassen zur Fixierung von Zierblechen. Untersuchungen an einem frühkaiserzeitlichen Reiterhelm aus Xanten-Wardt konnten einen aus Teerparaffinen, Holzteer und tierischen Fetten bestehenden Kitt nachweisen, der die silbernen Überzugsbleche des Helms auf dem eigentlichen eisernen Träger befestigte und so einer Lösung durch mechanische Belastungen wie Schlägen vorbeugte. Die Untersuchungen stellten außerdem fest, dass der Kitt mit modernen Treibkitt, wie er von Silberschmieden verwendet wird, vergleichbar ist. Treibkitt besitzt scherverdickende Eigenschaften und wurde aus naheliegenden Gründen bei solchen Helmen zumindest zur Verstärkung der Zierbleche verwendet. Scherverdickende Substanzen wurden jedoch erst in der jüngeren Vergangenheit systematisch erforscht und aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften bei Panzerungen angewendet. Führend war hierbei das Army Research Laboratory, eine Forschungseinrichtung des U.S.-amerikanischen Heeres, welches in den 1990ern die Forschung an scherverdickenden Suspensionen aufnahm. Hierbei konnte nachgewiesen werden, dass diese scherverdickende Suspensionen die Effizienz weichballistischer Panzerung erheblich gegen Beschuss steigerte und die Penetration der Pakete durch Stilette oder Dorne stark reduzierte sowie traumareduzierend wirkt. Das Gel verhindert als Matrix, dass Dorne oder Stilette die Panzerung durch Verdrängung der Fasern penetrieren.
2. Herstellung und Test
Das Army Research Laboratory erforschte im Prinzip zwei unterschiedliche scherverdickende Gelsorten. Die erste Mischung besteht aus Nanosiliziumoxid mit einer durchschnittlichen Partikelgröße von 450nm und Polyethylenglykol 200, einem flüssigen polaren Polymer, das auch in der Kosmetikindustrie und als Abführmittel benutzt wird. Die zweite Mischung verwendet 75% der Masse technisches Kaolin, ein aluminiumoxidhaltiges Mineral, das zur Herstellung von Porzellan und Quickclot-Gazen verwendet wird, sowie 30% Glycerin. Insbesondere die zweite Mischung ist für den Endanwender sehr interessant, da Kaolin und Glycerin sehr einfach zu beschaffen sind und nur ein Bruchteil des Preises der ersten Mischung kosten. Kaolin kann außerdem das E-Modul von Polyethylen erhöhen, welches für improvisierten ballistischen Schutz vor Handfeuerwaffen verwendet wird. Für diesen Artikel wurde eine Testserie vorbereitet, bei der insgesamt sechs Proben zur Ermittlung der relativen Penetrationstiefe mit einem Bogen und einem Pfeil mit panzerbrechender (Abb. 4) Spitze (Bodkinspitze) beschossen wurden. Die Testserien des Army Research Laboratory verwendeten einen Fallturm, mit dem ein Dorn mit Gewicht bei konstanter Beschleunigung und kinetischer Energie auf ein mit scherverdickendem Gel behandeltes Paket aus ballistischem Textil fallen gelassen wurde. Da der Nachbau eines derartigen Fallturms zu aufwändig war, wurde stattdessen auf den Bogenbeschuss zurückgegriffen, um einen relativen Effekt selbstgemischter Suspensionen festzustellen.
Abb. 2. Verwendeter Bogen.
Der Bogen des ungarischen Herstellers Seaven Meadows (Abb. 2) besitzt ein Zuggewicht von 20lbs und verschoss einen 608 grain oder 39g schweren und 73cm langen Holzpfeil (Abb. 3). Da ein Chronograph nicht zur Verfügung stand und der Hersteller die Anfangsgeschwindigkeit nicht spezifizierte, wird die kinetische Energie des Pfeiles anhand eines vergleichbaren Bogens MKRB007AC des Herstellers Man Kung auf etwa 8,5 Joule geschätzt, die Energie des Pfeiles überschreitet jedoch keineswegs 12 Joule. Die von Egres u.a. 2004 durchgeführten Stichtests an Nylonproben verwendeten einen Fallturm mit einer kinetischen Energie von 2 bis 12 Joule.
Abb. 3. Verwendeter Pfeil.
Abb. 4. Nahansicht der Pfeilspitze.
Die verwendeten Textilien der sechs Proben sind ballistisches Nylon 850 den in Leinwandbindung des Lieferanten Extremtextil e.K., 220 g/m² schweres nicht beschusshemmendes Kevlar in Atlasbindung des selben Lieferanten sowie nicht näher bestimmbarer 1mm dicker Filz, der aufgrund seiner dichten amorphen Faserstruktur kombiniert mit den dilatanten Suspensionen als besonders vielversprechende Deckschicht ausgewählt wurde. Auf das Nylon wurde mit einem Folienschreiber die auszuschneidenden Lagen eingezeichnet, anschließend wurden mit einem Lötkolben die markierten Lagen herausgeschnitten. Das war notwendig, um ein Verschieben der Fasern und ein damit verbundenes Auflösen des Gewebes durch das Schneiden mit einer Schere zu verhindern. Bei dem Kevlar mussten die Trennlinien mit elastischem Klebstoff behandelt werden. Für jede Probe wurden fünf Lagen Gewebe und eine beidseitige Deckschicht aus Filz verwendet. Zwei der Proben wurden unbehandelt belassen, um als Referenzproben zu dienen.
Abb. 5. Versuchsaufbau und vier der sechs Proben.
Insgesamt wurden drei Suspensionsmischungen hergestellt. Die erste Mischung ist ein Kaolin- Glyceringemisch und besteht aus 35% der Masse Kaolin und 65% Glycerin. Eine Nylonprobe wurde damit behandelt. Die zweite Suspensionsmischung besteht aus 75% des Volumens Kaolin und 25% Polyethylenglykol 200 und wurde in einer älteren Kevlarprobe eingearbeitet, die als Vergleich in diesem Test herangezogen wurde. Das benutzte Kaolin ist ein technisches dihydrates Kaolin des Lieferanten S3-Chemikals mit einer Partikelgröße von D50 450nm. Das Polyethylenglykol 200 stammt ebenfalls vom Lieferanten S3-Chemicals, während das Glycerin von Algin Chemie hergestellt wurde. Die letzte Mischung besteht aus 70% der Masse Kaolin und 30% Glycerin, wie in dem Aufsatz von Rosen u.a. 2007 beschrieben. Mit dieser Mischung wurde sowohl eine Nylonprobe als auch eine Kevlarprobe behandelt. Das Gel wurde stark mit Spiritus verdünnt und mit einem Pinsel auf jede Lage einzeln aufgetragen. Die behandelten Lagen wurden zu den geplanten Proben zusammengelegt und bei 80° Celsius für etwa zwei Stunden zur Extraktion des Spiritus erhitzt. Die entstehende Geruchsbelästigung ist unbedenklich und verfliegt unmittelbar nach einmaligem Lüften. Anschließend erfolgte die Verpackung der Proben in Plastikbeutel mit Verschluss, da die Suspensionen hygroskopisch und wasserlöslich sind. Die Proben wurden auf ein 12cm dickes Styroporzielmedium mit Paketklebeband fixiert und aus einer Distanz von etwa einem Meter vom Bogen aus in einem Winkel von annähernd 90° beschossen.
Die Ergebnisse sind relativ konsistent (Abb. 5). Insbesondere die Nylonproben mit Kaolin- Glyceringel weisen eine deutliche Reduzierung der Penetrationstiefen im Vergleich zur Referenzprobe ohne scherverdickendem Gel auf. Die unbehandelte Referenzprobe zeigte eine starke Verformung des Textilpaketes (Abb. 6), während die Probe Nylon KG nur schwache lokale Verformung aufwies (Abb. 7). Die Probe Nylon KG 2 zeigt eine erheblich reduzierte Penetrationstiefe imVergleich zu allen bisher beschossenen Nylonproben.Abb. 5. Beschussergebnisse. Nylon und Kevlar sind die unbehandelten Referenzproben, KP die Suspension mit Kaolin/Polyethylenglycol, KG die Suspension mit einem Masseanteil von 35% Kaolin und KG 2 die Mischung mit 75% der Masse Kaolin.
Abb. 6. Stark verformte Nylonprobe.
Abb. 7. Lokale Verformung der Probe Nylon KG.
Die gute Leistung der Probe Nylon KG 2 lässt sich dadurch erklären, dass die Dilatanz ab einem 70% Masseanteil von Kaolin kontinuierlich auftritt; damit ist diese Mischung optimal. Die Kevlarproben zeigten völlig unerwartete Ergebnisse, die Eindringtiefen der Referenzprobe liegen wesentlich niedriger als die der anderen Proben. Ebenso überraschend ist die Leistung der Probe mit Kaolin und Polyethylenglykol, die deutlich tiefer penetriert wurde. Die Penetrationstiefen der Kevlarprobe KG 2 sind im Vergleich zur vorherigen Probe Kevlar KP erheblich reduziert. Allerdings konnten die Penetrationstiefen im Vergleich zur unbehandelten Referenzprobe nur sehr unwesentlich reduziert werden. Dies zeigt, dass eine Suspension aus Kaolin und Polyethylenglykol kaum Dilatanz besitzt und Kevlargewebe in Atlasbindung auf eine Behandlung mit scherverdickenden Suspensionen nicht oder nur unwesentlich anspricht. Somit eignen sich nur ballistische Textilien in Leinwandbindung für die Behandlung mit scherverdickendem Gel.
3. Fazit
Der durchgeführte Test sowie die Untersuchungen des Army Research Laboratory zeigen, dass die Aufrüstung weichballistischer Pakete mit scherverdickendem Gel die Schutzwirkung erhöht und auch Schutz gegen Nahkampfwaffen und unkonventionelle Projektile wie Bodkinpfeile gewährleistet. Die Nachrüstung bereits existierender Panzerung kann problemlos erfolgen, allerdings muss eine wasserdichte Schutzhülle angebracht werden, da das Gel sowohl wasserlöslich als auch hygroskopisch ist.
Abb. 8. Selbst gebaute Splitterschutzeinlage aus 15 Lagen Nylon 850 Den für einen improvisierten Plattenträger.
Hierbei bietet sich der Eigenbau rechteckiger Pakete aus ballistischem Nylon mit der Mischung aus 70% der Masse Kaolin und 30% Glycerin an, zum Schutz vor Feuchtigkeit sollten diese Pakete in Plastik vakuumiert werden. Das ballistische Nylon sollte nicht leichter als 850 Den sein, ideal sind 1050 Den. Da Nylon schwächer ist als Kevlar, kann es empfehlenswert sein, das Paket mit zusätzlichen Einlagen wie Edelstahl, Titan, Polyethylen oder Glasfaserverbund aufzurüsten. Allerdings darf auf der dem Körper zugewandten Seite keine harte Einlage eingesetzt werden, da sie die Schutzwirkung erheblich beeinträchtigt. Anders als ballistisches Kevlar ist Nylon relativ leicht erhältlich, weshalb es für jeden der eigene Panzerungen bauen will ratsam ist, sich mit Vorräten einzudecken.
Literatur und Abbildungsnachweis
M. Egg, Die ältesten Helme der Hallstattzeit. In: Antike Helme. Sammlung Lipperheide (Mainz 1988).
N. Hanel, F. Willer, Nachweis einer Metallklebemasse bei einem römischen Reiterhelm aus Xanten- Wardt. Xantener Berichte 16, 2009, 209-216.
R. Egres (u.a.), "Liquid armor": Protective fabrics utilizing shear thickening fluids. In: IFAI 4th International Conference on Safety and Protective Fabrics (Pittsburgh 2004).
R. Egres, M. Decker, C. Halbach, Y. Lee, J. Kirkwood, K. Kirkwood, N. Wagner, Stab resistance of shear thickening Fluid (STF)–Kevlar composites for body armor applications (Newark 2004).
B. Rosen, C. Laufer, D. Kalman, E. Wetzel, N. Wagner, Multi-threat Performance of Kaolin-based shear thickening Fluid (STF)-treated fabrics (Baltimore 2007).
http://www.tarantulapettingzoo.com/oldArmor.html (Eingesehen am 6.3.2016)
Siehe auch:
Die Reihe Bodyarmor